In der letzten Woche wurde – mal wieder, muss man sagen – Windows Phone/Mobile zu Grabe getragen. Was sich schon einige Zeit relativ deutlich abzeichnete, wurde von Joe Belfiore, Microsoft Manager und früher mal für die Sparte Windows Phones verantwortlich, in einigen Tweets relativ deutlich bestätigt.
Auf die Frage eines Nutzers, ob es Zeit wäre, die Windows Mobile Plattform zu verlassen, kam ein ziemlich deutliches Ja.
Während Windows 10 Mobile weiterhin mit Sicherheitsupdates bedacht wird – und das wohl mindestens bis ins zweite Quartal 2019, sind keine weiteren Features geplant. Da auch quasi niemand mehr Geräte mit Windows 10 Mobile anbietet, ist die Plattform damit am Ende und wird jetzt quasi “abgewickelt”.
Was heißt das für den normalen Nutzer?
Nun, wer jederzeit die aktuellsten Apps haben wollte, wird eh nicht auf der Windows Mobile Plattform unterwegs gewesen sein. Diejenigen, bei denen jetzt alles läuft, müssen nicht sofort Panik bekommen und ihr Gerät wechseln.
Es wird allerdings sicher in den nächsten Wochen und Monaten noch die eine oder andere Nachricht kommen über Anbieter, die ihre Windows Apps einstellen. Die Windows App Plattform bezieht sich zwar nicht nur auf Mobile. Eine universelle App läuft auf allen Windows 10 Plattformen, von PCs über Tablets, Holo-Lens bis hin zur Xbox. Die Frage ist, ob diese Geräteklassen für die App-Entwicklung reichen werden – in den meisten Fällen vermutlich nicht.
Warum kam es eigentlich so weit?
Joe Belfiore hat im Rahmen seiner Tweets auch noch geschrieben, dass man einiges versucht hätte, Entwicklern die Plattform schmackhaft zu machen. Das hat allerdings einfach nicht gefruchtet. Die Probleme sind aber tiefergehend und man muss dazu etwas in die Vergangenheit blicken.
Als Apple vor zehn Jahren das erste iPhone präsentierte, war das Gerät und die Bedienphilosophie so deutlich anders als alles, was auf dem Markt war, dass man nicht wirklich vorhersagen konnte, ob das Konzept ein Erfolg werden würde. Es wurde einer. Es wurde solch ein Erfolg, dass Google mit Android ein Jahr später vieles davon kopierte, um den Markt von unten aufzurollen.
Microsofts damals weit verbreitete Windows Mobile Plattform sah auf einmal verdammt alt aus. Ein Handy mit Stift? Bedienung wie beim PC nur auf kleinen Displays? Programme vom PC aus via Sync-Software installieren? “Dummerweise” gab es eine Masse an Geräten und Programmen. Das alles auf einmal wegzuwerfen, traute sich Microsoft zuerst nicht.
Erst zwei Jahre später, im Jahr 2010, hat man dann endlich doch den großen Schnitt gemacht. Die Neuentwicklung hörte auf den Namen “Windows Phone 7” und war tatsächlich ein großer Schritt. Anders als Android in seinen Anfängen war Windows Phone allerdings keine schlechte iOS Kopie, sondern hatte ein eigenständiges Design- und Bedienkonzept.
Und man hatte sich wie Apple bei iOS von Anfang an Gedanken um Sicherheit gemacht. Das System war – ganz anders als Windows Mobile vorher – in sich geschlossen mit einem App-Store als einziger Quelle für Programme. Das sorgte im Vergleich zu Windows Mobile oder auch zu Android für ein sehr hohes Sicherheitslevel.
An sich also eine gute Basis, nur war man damit halt schlicht zu spät am Markt. Und anstatt mehr als die Konkurrenz zu bieten, war Windows Phone 7 anfangs ziemlich mager ausgestattet. Es fehlten schlicht die Gründe, auf Windows auf dem Smartphone umzusteigen. Zudem zeichnete sich ein Problem ab, welches die nächsten Jahre immer am mobilen Windows hängen durfte: die fehlenden Apps.
Die Entwickler von Apps hatten sich auf iOS und Android eingestellt und beide Plattformen wuchsen schon damals gut. Warum also jetzt plötzlich noch eine App für noch eine Plattform entwickeln? Das Interesse war eher verhalten. Auch war anfangs nicht nur Windows Phone 7 für den Nutzer recht eingeschränkt, auch die Funktionen für Entwickler waren nicht ideal. Viele wichtige Schnittstellen kamen erst später.
Mit Updates bis hin zu Windows Phone 7.8 kamen zwar zusätzliche Funktionen, aber nun auch der erste Rückschlag für die Nutzer, die sich aufs System eingelassen hatten: der Schritt auf Windows Phone 8 im Jahr 2012 war ein großer Schritt fürs Betriebssystem, allerdings ein zu großer Schritt für die Hardware. Kein einziges mit WP7 ausgeliefertes Gerät bekam ein Upgrade auf WP8. Es war neue Hardware notwendig.
Im Hintergrund gabs viele technische Neuerungen und auch die Entwickler mussten sich noch mal umgewöhnen. Mit WP7 war noch Silverlight für die Entwicklung von Apps angedacht, nun aber nicht mehr. Immerhin, mit Windows Phone 8 basierte das System dann auch auf dem normalen Windows Kernel, während WP7 noch auf dem früheren Windows Mobile 6.x Kernel entstanden war.
Nachdem dieser Schritt geschafft war, sah es zeitweise so aus, als könne sich Windows Phone tatsächlich etablieren. Die Marktanteile stiegen langsam aber sicher – allerdings nie in den USA. Während in manchen Ländern Europas und Südamerikas Windows Phones irgendwo um die 10% Marktanteil erreicht hatten, waren sie im Heimatmarkt Microsofts weiterhin Exoten. Und der Heimatmarkt ist für Microsoft nun einmal das, was zählt.
Ohne Apps keine Nutzer, ohne Nutzer keine Apps – das Henne-Ei-Problem. So schlimm war es an sich nie, der Store für Windows Apps war und ist an sich recht gut gefüllt. Allerdings waren die Apps oft weniger gut ausgestattet und weniger gut unterstützt als ihre Pendants für iOS oder Android. Seltsamerweise wurden sie auch seltener beworben. Oft genug sind mir Anzeigen aufgefallen, wo trotz vorhandener Windows App in der Werbung nur die Apps für iOS und Android genannt wurden. Und natürlich wurde durch alle möglichen Tech-Medien jederzeit berichtet, wenn irgendwo eine App für Windows eingestellt wurde – über neue Windows Apps berichteten hingegen nur die Seiten, die eh Windows als Thema hatten.
Mit dem Schritt zu Windows 10 Mobile kam dann wieder ein weiter Schritt nach vorne, allerdings hat man einen Fehler zumindest teilweise wiederholt, den man bei der Einführung von Windows Phone 8 schon gemacht hat: man ließ viele existierende Geräte zurück. Upgrades auf 10 gab es nur für eine relativ kleine Anzahl von Geräten, die schon mit WP 8.1 ausgeliefert worden waren. Alle ursprünglich mit WP 8.0 gelieferten Modelle blieben außen vor. Darunter auch Geräte wie das Kamera-Smartphone Lumia 1020, welches mit 2 GB Ram deutlich besser ausgestattet war, als so manches offiziell unterstützte, modernere Gerät.
Besonders ärgerlich für die Nutzer war, dass all diese älteren Geräte während der Preview-Phase mit Windows 10 Mobile installierbar waren, Microsoft dann aber zum Release mitteilte, dass diese Gerät die Ansprüche ans System doch nicht erfüllen würden.
Und ein wenig lächerlich wirkt diese Aussage, wenn man solch ein altes Gerät heute in der Registry so umstellt, dass es sich als neueres Modell ausgibt, und dieses dann das aktuellste Windows 10 Mobile installiert und damit läuft.
Das Gerät im obigen Foto ist ein Nokia Lumia 820 von 2012 mit einem aktuellen Windows 10 Mobile 1703. Keine Rennsemmel, aber prinzipiell funktionierend. Mit etwas Optimierungsaufwand hätte man also zumindest alle Nutzer von WP8 Geräten mit mindestens 1 GB Ram “mitnehmen” können.
Zu weit in die Zukunft gedacht?
Ja, kein Witz, ich meine das völlig ernst: an vielen Stellen war Microsoft seiner Zeit zu weit voraus. Die Nutzer waren an vielen Stellen einfach noch nicht so weit. Woran ich das ausmache? An all den vielen kleinen und größeren Dingen, die man zuerst bei Windows Phones gesehen oder in der Masse erlebt hat und die die Konkurrenz oft erst Jahre später auch eingeführt hat.
Das “Modern-UI”, zuerst “Metro” genannt mit einem ganz flachen Design wurde belächelt und mittlerweile kommen iOS und Android mit ähnlich flachen Designs. “Continuum”, die Möglichkeit, das Handy mit den normalen Apps am großen Bildschirm wie einen PC bedienen zu können, kommt jetzt erst bei einigen Androiden. “Blick” oder “Glance”, der Info-Bildschirm im ausgeschalteten Zustand war in der Masse zuerst bei Nokias Windows Phones zu sehen. Auch der Trend hin zu wirklich guten Kameras im Smartphone fand in der ersten Zeit quasi fast komplett auf der Windows Phone Plattform statt.
Während iOS und Android ziemlich statische Symbole haben und meist eine ziemlich altmodische Trennung in eine Sammlung von App-Symbolen und eine Art Desktop mit den selben Symbolen noch einmal, war die UI von Windows auf dem Smartphone innovativ. Mit einem Blick lässt sich mehr erfassen, ohne extra Apps zu starten. Das Konzept war und ist wegweisend – nur waren die Nutzer halt die konservative Bedienung der anderen Systeme gewöhnt.
Ein anderes Beispiel dafür ist Windows 8 auf dem PC. Die Oberfläche war an sich durchdacht und man hat wirklich ein Konzept aufgestellt, wie man sich in der Zukunft die PC-Bedienung vorstellen kann. Nur war man damit einfach viel zu weit vorgeprescht und hat die Nutzer auch dort nicht mitgenommen. Wer seit Windows 95 ein Startmenü gewohnt war und die Bedienung mit Maus und Tastatur, der wirft dieses Wissen nicht einfach über den Haufen und gewöhnt sich von jetzt auf gleich um. Der Schritt war einfach viel zu weit.
An der Hardware lag es nicht.
Und auch die Hardware war an sich nicht ohne. In den letzten Jahren hörte man immer Beschwerden, dass viele Flagship-Phones keinen wechselbaren Akku mehr hätten. Dass man sich zwischen Dual-Sim und MicroSD Slot entscheiden müsse oder es letzteren gar nicht geben würde. Da wurden Full-HD Displays und MicroUSB noch 2016 als “state of the art” für Top-Modelle verkauft.
Und dann kommt Microsoft und macht all diese Punkte besser und dann ist es auch verkehrt! Wenn man sich die Ausstattung eines Microsoft Lumia 950 oder 950 XL anschaut mit 2K OLED Display, Dual-Sim, MicroSD-Slot, Wechselakku, USB-C, Qi-Wireless-Charging, Continuum und einer der besten Smartphone-Kameras der letzten Jahre, dann fällt es schwer, andere Geräte zu finden, die dies toppen können. Auch jetzt noch, wo das Gerät über zwei Jahre alt ist. Aber da fanden die Kritiker ja schnell einen Punkt zum Meckern: es würde ja nicht so edel aussehen, wäre deswegen als “Flagship” nicht geeignet. Nun ja, wenn man sonst nichts zu meckern hat…
Und was bringt die Zukunft?
Pest oder Cholera. Ich kann es leider für mich zur Zeit nicht anders formulieren. Die beiden anderen Plattformen iOS und Android bieten eine riesige Auswahl an Apps. Das ist der große Vorteil, den sie schon immer gegenüber Windows Phones hatten. Das ist in meinen Augen leider auch der einzige, wirkliche Vorteil.
Auf der iOS Seite erkauft man sich das mit dem goldenen Apple-Käfig und hohen Kosten. Will man kein technisch überholtes Modell, muss man verdammt viel Geld ausgeben, sich auch heute leider noch mit einer Software wie iTunes rumschlagen und sich dran gewöhnen, dass die Bedienung nur für langjährige iOS Nutzer logisch und durchdacht wirkt. “Intuitiv” sind viele der Funktionen nur, wenn man sie erklärt bekommt. Zudem wacht Apple peinlich genau über seinen App-Store, was zwar für hohe Sicherheit sorgt – aber auch für nicht immer nachvollziehbare Entscheidungen von aus dem Store verbannten Apps. Meist gibt es über längere Zeit Updates, allerdings hat Apple weiterhin keine garantierten Support-Zeiträume. Man kann also Updates über mehrere Jahre erwarten, könnte aber im Ernstfall auch mal Pech haben. Nutzer des ersten iPad dürften ein Lied davon singen können.
Wählt man Android, hat man eine schier unüberschaubare Menge von Geräten, die absolute Freiheit in Sachen Apps, von jedem Hersteller eine eigene Oberfläche mit unterschiedliche Bedienphilosophie und weiterhin ein massives Problem mit Sicherheitsupdates. Bzw. deren fehlende Verfügbarkeit. Dummerweise ist Android allerdings auch löchrig genug, dass gerade diese dringend gebraucht werden. Nur kaum ein Gerät bekommt sie regelmäßig und vor allem auch über einen längeren Zeitraum. Google selber garantiert mittlerweile drei Jahre Support für die eigenen Pixel Geräte. Die liegen allerdings in der selben Preisklasse wie aktuelle iPhones.
Ein Samsung Galaxy S7 Edge mit aktuellem Updatestand liegt bei den Sicherheitsupdates aktuell “nur” zwei Monate im Rückstand. Bei vielen preiswerteren Geräten schaut man lieber gar nicht, wann diese zuletzt Sicherheitsupdates bekamen.
Und was machst du?
Gute Frage. Momentan ist mein Haupt-Gerät privat und beruflich weiterhin ein Microsoft Lumia 950. Solange die Geräte (ja, ich trenne beruflich und privat) weiterhin funktionieren und die für mich benötigten Apps zur Verfügung stehen, wird sich daran vermutlich wenig ändern. Ich habe garantierten Support bis mindestens Juni 2019, d.h. deutlich länger als die Mehrzahl der aktuell zu kaufenden Androiden.
Beim Firmengerät hat natürlich die Firma etwas mitzureden. Dort ist normalerweise iOS angesagt, jetzt wo Windows kein Thema mehr spielt, und wenn man mir da irgendwann ein iOS Gerät in die Hand drücken will, dann ist das halt so. Werde ich mich dann halt auch dran gewöhnen. Ein normales iPhone ist mir allerdings zu klein und ein Plus Modell an sich zu groß. Zudem empfinde ich die iOS Tastatur als Fehlkonstruktion. Punkt und Komma nur auf der zweiten Ebene… *facepalm*
Privat wird vermutlich irgendwann mal Android anstehen, da ich einfach nicht bereit bin, 800 EUR für ein Handy auszugeben. Ich erwarte aber eine möglichst gute Kamera im Handy, was die Auswahl schon wieder stark einschränkt. Ein Samsung Galaxy S8 mit purem Android wäre schön. Samsungs Interpretation von Android mit einer Vielzahl von selbst entwickelten Apps finde ich eher abschreckend. Die Nokia Android Modelle sind da schon eher interessant, wobei die Kamera im Nokia 8 wohl doch nicht so gelungen sein soll. Zudem ist das 8 preislich auch noch etwas zu weit oben und liegt quasi gleichauf mit dem Galaxy S8, welches doch die deutlich interessantere Hardware bietet.
Ich hoffe also momentan ganz konkret, dass die Lumias hier noch halten und kein wichtiger App-Anbieter seine Windows App einstellt.
Das “Rette sich wer kann” versuche ich also noch etwas aufzuschieben. Das definitive Ende ist jetzt aber absehbar – momentan steht das Datum Juni 2019 dran.