Die Vorratsdatenspeicherung–eine kleine Analyse

Seit mittlerweile einigen Jahren schon findet in Deutschland eine Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung statt. Zu jeder sich bietenden Gelegenheit rufen Politiker von Union und Teilen der SPD nach ihr, die Polizeigewerkschaften sowieso. Nun hat sich die SPD dazu entschieden, sich ebenfalls für die Vorratsdatenspeicherung einzusetzen. Und der große Aufschrei abseits des Netzes bleibt auch diesmal auf, obwohl die Vorratsdatenspeicherung die größte Einschränkung der Bürgerrechte in den letzten dutzenden von Jahren wird.

Was soll da überhaupt gespeichert werden?

Gespeichert werden Verbindungsdaten von Telefon- und Internetverbindungen, also wer mit wem wann und wo kommuniziert hat, nicht aber die Inhalte. Die Daten werden bei den Providern über 10 Wochen gespeichert und sollen dann von den entsprechenden Behörden dort abgefragt werden können.

Warum wird gespeichert?

Man möchte anhand dieser Daten Schwerverbrechen aufklären können, sowie behauptet man, Terrorismus verhindern zu wollen. Dazu gehören in den Diskussionen immer wieder “Kinderschänder”, um die Wichtigkeit zu verdeutlichen. Nur für diese Zwecke soll überhaupt Zugriff auf die Daten genommen werden können. Bisher.

Was ist denn nun das Problem?

Es taucht eine Reihe von Problemen durch die Speicherung auf, die von den Befürwortern immer wieder mit teils abstrusen Begründungen abgeschmettert werden.

1. Jeder steht unter Generalverdacht.

Man legt quasi jedem Bürger eine GPS Fußfessel an und überwacht, wo er mit wem kommuniziert. Einfach so auf Verdacht. Der Bürger könnte ja ein Verbrechen begehen wollen. Jeder einzelne Bürger.

In einem freiheitlichen, demokratischen Staat mit Bürgerrechten ist nicht jeder Bürger per se erst einmal verdächtig. Das kann nicht die Basis des Miteinanders sein. Möchten Sie auch, dass jeder Mitbürger eine DNA Probe abgibt, denn es könnte ja sein, dass man mal einen Mord oder eine Vergewaltigung begeht?

2. Die Daten wecken Begehrlichkeiten.

Schon jetzt, wo die Vorratsdatenspeicherung noch nicht eingeführt ist, erwarten Polizeiorganisationen, in viel mehr Fällen auf die Daten zugreifen zu können, als bisher vorgesehen ist. Und genau wie bisher die Vorratsdatenspeicherung bei jeder sich bietenden Gelegenheit gefordert wurde, wird in Zukunft dann die Ausweitung des Zugriffs bei jeder sich bietenden Gelegenheit gefordert werden.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter möchte auch bei Betrugs- oder Korruptionsdelikten Zugriff. Dabei wird es nicht bleiben. Am Ende wird man aus deren Richtung einen grundsätzlichen Zugriff auf die Vorratsdaten fordern. Das gestohlene Handy ließe sich doch sicherlich auch darüber finden, oder?

Dass Geheimdienste Zugriff auf die Daten nehmen werden, ist sowieso klar. Vollkommen egal, ob da eine gesetzliche Regelung besteht oder nicht, wird sich jeder Geheimdienst über solche Sammlungen freuen. Natürlich nicht nur die deutschen Geheimdienste. Und niemand wird sie hindern, die Daten beliebig zu kopieren und ihrerseits zu speichern. So lange sie das wollen. Eine gesetzliche, wirksame Kontrolle findet ja schon jetzt in Deutschland nicht statt. Vom Ausland gar nicht zu reden.

Auch nicht staatliche Stellen werden schnell ihr Interesse anmelden. Musik- und Filmindustrie werden sicherlich auch weiter viel Druck ausüben, um schon wegen geringfügiger Urheberrechtsverletzungen Zugriff auf die Vorratsdaten zu bekommen.

Der Schritt, dass die Daten zur Sanierung der Staatsfinanzen an Werbetreibende und Marktforscher verkauft werden, ist dann nur noch ein sehr kleines Stück entfernt.

3. Die Daten wecken noch ganz andere Begehrlichkeiten

Wie man am aktuellen Hack des Bundestages sehen kann, ist kein Netz sicher. Die Vorratsdaten sollen aber nicht einmal auf Servern des Staates oder der Behörden gespeichert werden, sondern bei den Providern. Es ist zu erwarten, dass die Vorratsdaten damit in dunkle Kanäle abfließen und missbraucht werden.

Alles, was irgendwo im Netz gespeichert wird, wird nicht wieder aus dem Netz entfernt. Das hat sich bisher immer wieder bewahrheitet.

Und wer wurde in den letzten Jahren alles gehackt? Wo überall hat man Daten entwenden können, von Kundendaten über Inhalte bis hin zu Finanzdetails? Und was hat man alles noch gar nicht mitbekommen?

4. Es gibt keine sinnvollen Gründe für die Speicherung

Sigmar Gabriel nannte die “Charlie Hebdo” Anschläge als einer der Gründe, weswegen man eine Vorratsdatenspeicherung brauchen würde und zeigt damit deutlich eine typische Ahnungslosigkeit bei den Politikern zum Thema. Frankreich hat bereits eine Vorratsdatenspeicherung! Die Täter waren vorher schon der Polizei und den Geheimdiensten bekannt. Sie wurden teilweise schon überwacht und abgehört. Man hatte also schon Massen an Daten – anscheinend viel zu viele Daten. Und so konnten bestens überwachte Terroristen trotzdem ihr Werk vollenden.

Selbst zur Aufklärung hat die Vorratsdatenspeicherung nichts beigetragen. Der erste und wichtigste Hinweis auf die Täter kam von ihnen selber, durch ihre eigene Dämlichkeit.

Und damit möchte man ernsthaft die Einführung der Vorratsdatenspeicherung begründen?

“Terrorismus” ist auch so ein Stichwort. Der islamistische Fanatiker, der von irgendwoher kommt und sich dann an einem belebten Ort selber samt vielen Unbeteiligten in die Luft sprengt ist bisher kein deutsches Phänomen – zum Glück. Würde ihn die Vorratsdatenspeicherung abhalten? Nein. Würde man die Tat dadurch aufklären können? Hintermänner finden? Lächerlich!

Es gab in Deutschland seit der RAF keinen Terrorismus mehr. Erst durch die NSU wurden wieder Terror-Morde verübt. Und auch diese Täter waren den entsprechenden Behörden offenbar schon lange bekannt. Auch sie wurden überwacht und abgehört. Und auch dort hat man aus der Menge an Daten, die den Behörden zur Verfügung standen, offensichtlich nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Hätte eine Vorratsdatenspeicherung geholfen? Wie denn?

5. “Denkt denn keiner an die Kinder!”

Gerne liest man das wunderbare Argument, dass man mit der Vorratsdatenspeicherung “Kinderschändern” auf die Schliche käme. Und wer wird denn schon etwas dagegen haben, einen bösen “Kinderschänder” zu ermitteln? Gerne vergessen wird dabei, dass das Verbrechen zu dem Zeitpunkt schon geschehen ist und bisher eine Aufklärung in solchen Fällen auch ohne Vorratsdaten erfolgt ist.

Auch andere Themen sollten schon mit dem “Kinderschänder”-Hammer-Argument durchgeprügelt werden. Haben Sie die Diskussion zum Thema “Stopp-Schilder” im Internet schon vergessen? Damals hat sich zum Glück der Löschansatz der Kritiker durchgesetzt und funktioniert seitdem nahezu perfekt.

Hier hingegen wird das Thema mal wieder ausgepackt und so argumentiert, dass derjenige, der für seine Freiheit kämpft gerne mit jemandem gleichgesetzt wird, der sich für Kindesmissbrauch einsetzen würde. Eine geradezu perverse Argumentation!

6. Und die Löschung?

Was einmal gespeichert wird, wird nicht wieder gelöscht. Vielleicht bei den Providern schon, alleine wegen des Platzbedarfs. Aber bei allen anderen Stellen, die auf die Daten zugreifen, werden viele dieser Daten verbleiben. Und das mag heute nicht einmal schlimm sein. Und in Zukunft? Die Menschen in vielen Ländern wurden von Regierungswechseln überrascht und mussten feststellen, dass sich ihr Leben durch neue Gesetze plötzlich geändert hat.

Die Zugriffe auf das Datingportal für Schwule von vor ein paar Jahren könnte eine Regierung in manchem Staat heute sehr interessant finden. Sind Sie sicher, dass die Daten von damals gelöscht wurden?

Stellen Sie sich vor, sie surfen heute immer wieder die Webseite einer Drogenberatung an. In ein paar Jahren machen Sie Karriere in der Politik. Hat vielleicht noch jemand die Vorratsdaten und dreht Ihnen daraus einen Strick?

Oder Sie ermitteln sogar in einem Ausschuss als Politiker gegen einen Geheimdienst und sollen Skandale aufklären und ganz plötzlich wird ihre Vorliebe für Bilder und Videos nackter Jungs öffentlich? Sie hätten zwar rechtlich nichts zu befürchten, da die Bilder nicht strafrechtlich relevant sind, wären aber ansonsten ruiniert. Aber so etwas taucht wohl nur in schlechten Filmen auf, richtig?

Was an Daten erhoben wird, wird auch genutzt werden. Gegen Sie, gegen mich, gegen uns alle!

Was wird man am Ende mit der Vorratsdatenspeicherung erreichen?

Man schafft ein Instrument zur Überwachung und sorgt dafür, dass statt kriminalistischer Ermittlungen dann Metadaten zur Verbrechensaufklärung herangezogen werden.

Man sorgt dafür, dass viele Leute sich überlegen werden, im Netz oder am Telefon noch private Dinge zu kommunizieren, durch die ihnen irgendjemand später Probleme bereiten könnte. Stichwort “Chilling Effects”.

Diejenigen, die tatsächlich Terrorismus und Schwerkriminalität planen, werden sich hingegen schnell auf die neue Bedrohung einstellen.

Fazit

An sich müssten Millionen Menschen auf die Straße gehen, aber die Empörung ist einfach nicht da. Der unglaublich schwachsinnige Spruch, man hätte ja nichts zu verbergen macht weiterhin die Runde. Daten werden gespeichert und ausgewertet werden. Und Stück für Stück werden Freiheitsrechte weiter verschwinden. Alles natürlich nur zu unserem Besten. Wegen der Terroristen. Und der “Kinderschänder”.

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Eine Antwort zu Die Vorratsdatenspeicherung–eine kleine Analyse

  1. Martin sagt:

    Danke für die ausführliche Zusammenfassung

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